Interview mit Prof. Haug durchgeführt von PrimoMedico am 09.07.2025
Primo Medico Fachärztetalk, der Spezialisten Podcast mit Susanne Amrhein, „Medizin für die Ohren“
Neuroendokrine Zellen dienen zur Produktion verschiedener Hormone und sind fast überall in unserem Körper zu finden. Leider können sich auch diese Zellen zu Tumoren entwickeln. Solche neuroendokrinen Tumore sind selten und sie können ganz verschiedene Untertypen bilden, so dass die Behandlung schwierig sein kann. Eine Möglichkeit im Rahmen der sogenannten Theranostik ist die Peptid-Radiorezeptor-Therapie, PRRT abgekürzt. Wie sie funktioniert und warum sie so wirkungsvoll ist, darüber spreche ich mit Professor Alexander Haug. Er ist Facharzt für Nuklearmedizin bei Minute Medical in Wien.
- [00:54] Was genau ist eine Peptid Radiorezeptor-Therapie?
- [02:17] Für welche Tumorarten ist die PRRT besonders geeignet?
- [03:54] Wie kann man neuroendokrine Tumore feststellen bzw. nachweisen, ob diese erforderlichen Rezeptoren vorhanden sind?
- [05:28] Unter welchen Voraussetzungen ist die Radiorezeptortherapie sinnvoll?
- [06:47] Wie funktioniert die Peptid-Radiorezeptor-Therapie für die Patienten?
- [08:31] Welche Nebenwirkungen können bei dieser Behandlung auftreten?
- [09:51] Wie steht es um den Erfolg der Therapie?
- [11:14] Falls es zu einem Rezidiv kommt, kann die Peptid-Radiorezeptor-Therapie wiederholt werden?
- [12:27] Übernehmen die Krankenversicherungen die Behandlungskosten?
Primo Medico (PM): Herr Professor Haug, vielleicht können Sie zum Einstieg erst einmal erklären: Was genau ist eine Peptid Radiorezeptor-Therapie?
Prof. Alexander Haug (AH): Die Peptid-Radiorezeptor-Therapie, kurz PRRT abgekürzt, ist eine innovative Form der Krebstherapie. Speziell bei bestimmten Tumorarten, zum Beispiel bei den genannten neuroendokrinen Tumoren. Stellen Sie sich vor, wir schicken eine Art zielgerichtetes Medikament direkt zur Tumorzelle. Dieses Medikament besteht aus einem kleinen Eiweißbaustein, dem sogenannten Peptid, das ganz gezielt an bestimmte Rezeptoren auf der Oberfläche der Tumorzellen andockt. Und dieses Peptid koppeln wir mit einem radioaktiven Strahler, also sozusagen eine Mini-Bestrahlungseinheit. Das Besondere dabei, die Strahlung wird direkt in die Tumorzelle gebracht, von innen heraus, statt wie bei einer klassischen Bestrahlung von außen durch die Haut. Das gesunde Gewebe in der Umgebung wird dabei weitgehend geschont, weil die Reichweite dieser Strahlung sehr begrenzt ist. Das Ziel der Therapie ist es, den Tumor und vor allem auch seine Metastasen zu verkleinern, das Wachstum zu stoppen und so die Beschwerden der Patienten deutlich zu lindern. Für viele Patienten, insbesondere mit fortgeschrittenen Tumoren, bei denen andere Therapien nicht ausreichend wirken, kann die PRRT eine sehr wirkungsvolle und schonende Option sein und gibt neue Hoffnung.
PM: Ich hatte ja schon angesprochen, dass es doch sehr viele Unterformen oder verschiedene Ausprägungen der neuroendokrinen Tumore gibt. Für welche Tumorarten ist denn die PRRT besonders geeignet?
AH: Die PRRT eignet sich in erster Linie eben für sogenannte neuroendokrine Tumoren, auch kurz NET genannt. Das sind besondere Arten von Tumoren, die sich aus den Zellen des hormonbildenden Systems entwickeln. Diese Zellen gibt es an vielen Stellen im Körper, deshalb können neuronale Tumoren auch in ganz verschiedenen Organen entstehen. Am häufigsten finden wir sie im Magen-Darm-Trakt, also zum Beispiel im Dünndarm, im Enddarm oder in der Bauchspeicheldrüse. Aber sie können auch in der Lunge oder anderen Organen auftreten.
Dabei sind neuronale Tumoren sehr unterschiedlich. Eine wachsen sehr langsam und bleiben lange unentdeckt, weil sie zunächst kaum Beschwerden machen. Andere sind deutlich aggressiver und wachsen schneller. Manchmal Metastasen in der Leber oder in den Lymphknoten.
Was viele dieser Tumoren aber gemeinsam haben, sie tragen auf ihrer Oberfläche bestimmte Rezeptoren, sogenannte Somatostatin-Rezeptoren. Und genau diese nutzt die PRRT aus. Denn das Therapieverfahren funktioniert nur, wenn diese Rezeptoren vorhanden sind. Bei der Behandlung prüfen wir deshalb ganz genau, ob der Tumor diese Zielstrukturen aufweist. Wenn das der Fall ist, kann die PRRT eine sehr gezielte und effektive Therapie sein. Gerade dann, wenn andere Behandlungen, wie Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung, nicht ausreichen oder auch nicht in Frage kommen.
PM:Wie können Sie denn neuroendokrine Tumore überhaupt feststellen bzw. nachweisen, ob diese erforderlichen Rezeptoren vorhanden sind?
AH: Ja, das ist natürlich eine ganz wichtige Frage. Denn je früher wir einen Tumor erkennen, desto gezielter können wir auch behandeln.
Der sogenannte Gold-Standard, also die beste und genaueste Methode zur Diagnose von neuroendokrinen Tumoren, ist heute die PET-CT-Untersuchung. Und zwar mit einer speziellen Substanz, die eben an diese Somatostatin-Rezeptoren der Tumorzellen bindet.
Man kann sich das so vorstellen: wir geben dem Patienten ein leicht radioaktiv markiertes Medikament in die Vene, das im Körper dorthin wandert, wo Tumorzellen mit diesen Rezeptoren sitzen. Die PET-CT-Kamera zeigt uns dann sehr genau, wo sich diese Zellen befinden und das sogar, wenn die Tumoren noch sehr klein sind.
Diese Untersuchung ist nicht nur für die Diagnose wichtig, sondern auch für die Therapie. Denn hier kommt ein modernes Konzept ins Spiel, das man Theranostik nennt. In Kunst war das Therapie und Diagnostik. Das Prinzip ist, wir benutzen denselben Schlüssel, also dasselbe Molekül, das eine Tumorzelle dockt, einmal mit einem Radiodiagnostik-Isotop, um den Tumor aufzuspüren mit der PET-CT, und dann mit einem therapeutischen Radioisotop, um die Zellen gezielt zu bestrahlen mit der PRRT.
Das bedeutet, die Diagnostik und die Therapie sind perfekt aufeinander abgestimmt. Wir sehen genau, wo die Tumorzellen sind, und behandeln sie dann exakt dort. Das macht die Behandlung nicht nur präziser, sondern oft auch erfolgreicher und schonender für den Patienten.
PM: Sie hatten vorhin gesagt, viele Patientinnen und Patienten haben schon viele Therapien hinter sich, die nicht ausreichend geholfen haben. Unter welchen Voraussetzungen ist denn die Radiorezeptortherapie sinnvoll?
AH: Die PRRT ist natürlich nicht für alle Patienten geeignet, aber sie kommt dann in Frage, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Am besten wirkt diese Therapie bei langsam wachsenden neuroendokrinen Tumoren, die eben diese Somatostatin-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche tragen. Wie gesagt, das prüfen wir vorher ganz genau mithilfe einer speziellen PET-CT-Untersuchung.
Außerdem ist die PRRT oft eine sehr gute Option, wenn der Tumor nicht mehr operiert werden kann. Zum Beispiel, weil er schon Metastasen gebildet hat oder an einer schwer zugänglichen Stelle liegt. Auch wenn andere Behandlungen, Chemotherapie und Medikamente nicht ausreichend helfen, kann die PRRT eine wertvolle Alternative sein, um das Tumorwachstum zu bremsen, Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Ganz wichtig ist dabei, die Therapie wird immer individuell geplant. Je nach Tumorart, Stadium und Allgemeinzustand des Patienten.
Aber wenn die Voraussetzungen stimmen, ist die PRT eine sehr zielgerichtete, schonende und oft auch sehr wirksame Behandlungsform.
PM: Können Sie ihnen noch mal was zum Ablauf sagen? Also wie funktioniert die Peptid Radiorezeptortherapie für die Patienten?
AH: Die PRRT ist eine sehr gezielte Art der Krebstherapie. Sie basiert auf den Radioliganden, also den radioaktiv markierten Molekülen, die ganz gezielt an die Tumorzelle binden. In der Praxis verwenden wir dabei ein spezielles Medikament, meistens Lutetium-177 Dotatate. Das ist ein kleines Eiweißbausteinchen, das sich an die Somatostatin-Rezeptoren auf der Tumorzelle heftet und dabei eine radioaktive Substanz direkt in die Tumorzelle bringt. Man kann sich das vorstellen mit einem winzigen, präzisen Strahlenkurier, der eine Wirkung genau dort entfaltet, wo der Tumor setzt.
Der Ablauf sieht dabei so aus: der Patient bekommt das Radioligand über eine Infusion in die Vene. Die Substanz verteilt sich im Körper und bildet dort, wo die passenden Rezeptoren vorhanden sind, also idealerweise nur an den Tumorzellen. Dort gibt der Radioligand dann zielgerichtet Strahlung ab, die die Tumorzelle schädigt und zerstört, ohne dabei das gesunde Gewebe stark zu beeinträchtigen.
Die Therapie erfolgt nach einem strengen Protokoll, das aber individuell auf jeden Patienten abgestimmt wird. Dabei achten wir genau auf Tumorart, die Verteilung, den allgemeinen Gesundheitszustand und auch darauf, wie gut Nieren und Knochenmark arbeiten, denn diese Organe müssen geschützt werden.
Meist wird die PRRT in mehreren Zyklen im Abstand von etwa acht Wochen durchgeführt, um eine optimale Wirkung zu erzielen und den Körper nicht zu überlasten.
Unterm Strich ist es eine sehr präzise, hochspezialisierte Therapieform, die gerade bei fortgeschrittenen, langsam wachsenden, neuroendokrinen Tumoren sehr gute Ergebnisse zeigt.
PM: Welche Nebenwirkungen können denn bei dieser Behandlung auftreten?
AH: Wie jede Therapie kann auch die PRRT Nebenwirkungen haben. Insgesamt, das ist mir besonders wichtig, ist aber vergleichsweise gut verträglich, vor allem im Vergleich zur klassischen Chemotherapie. Die Strahlung wirkt ja sehr gezielt auf die Tumorzellen. Trotzdem können auch gesunde Zellen, insbesondere in der Niere und im Knochenmark, etwas belastet werden. Deshalb schützen wir die Nieren während der Behandlung mit einer speziellen Infusion und kontrollieren regelmäßig das Blutbild.
Mögliche Nebenwirkungen können sein: Übelkeit oder leichtes Unwohlsein am Behandelstag. Das ist aber meist gut behandelbar. Müdigkeit oder Abgeschlagenheit in den Tagen nach der Therapie, das geben viele Patienten an, legt sich aber oft nach kurzer Zeit. In seltenen Fällen können die Blutwerte vorübergehend absinken, also zum Beispiel die Zahl der weißen Blutkörperchen oder Blutplättchen. Deshalb beobachten wir das sehr genau. Langfristig ist das Risiko für ernsthafte Komplikationen aber gering. Aber natürlich wird jeder Patient individuell betreut und die Therapie entsprechend angepasst. Das Ziel muss immer sein, eine maximale Wirkung gegen den Tumor bei möglichst geringer Belastung für den Körper. Und gerade das macht die PRRT für viele Patienten zu einer sehr gut verträglichen Behandlungsoption.
PM: Jeder Mensch, der an Krebs erkrankt ist, wünscht sich, dass dieser verschwindet. Wie steht es denn um den Erfolg der Therapie?
AH: Die Erfolge, die wir mit der PRRT sehen, sind wirklich beeindruckend, vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenen und langsam wachsenden neuroendokrinen Tumoren. Dabei profitieren die Patienten von der PRRT auf mehreren Ebenen. Der Tumor verkleinert sich und wächst langsamer. Metastasen können zurückgedrängt werden. Beschwerden lassen nach, insbesondere etwa hormonbedingte Symptome oder auch Schmerzen. Und ganz wichtig, die Lebensqualität verbessert sich durch die Therapie deutlich. Das konnte auch in mehreren Studien gezeigt werden.
In Studien hat man gesehen, dass die PRT das progressionsfreie Überleben, also die Zeit, in der der Tumor nicht mehr weiterwächst, verdoppelt werden kann. Und auch die Gesamtlaufzeit der Erkrankung kann sich bei manchen Patienten verlängern.
Natürlich ist jede Situation individuell. Wir können nicht versprechen, dass der Tumor verschwindet. Aber wir sehen in der Praxis immer wieder, dass Patienten jahrelang stabil bleiben oder sich spürbar besser fühlen. Für viele ist das ein großer Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität. Gerade weil die Therapie so gezielt und schonend wirkt, ist sie für viele Patienten eine sehr wertvolle Option, oft dann, wenn sie schon eine längere Krankheitsgeschichte hinter sich haben.
PM: Falls es zu einem Rezidiv, also einem Wiederauftreten oder Wiederentflammen der Krebserkrankung kommt, kann die Peptid-Radiorezeptor-Therapie bei Bedarf wiederholt werden?
AH: Ja, das ist tatsächlich möglich. In vielen Fällen kann die PRRT bei einem Wiederauftreten der Erkrankung, also einem sogenannten Rezidiv, wiederholt werden. Wir sprechen dann von einer sogenannten Retherapie oder PRRT-Wiederholung. Es ist vor allem dann sinnvoll, wenn die erste Behandlung gut angeschlagen hat und der Tumor nach einiger Zeit wieder aktiv wird. Natürlich müssen wir dabei sehr sorgfältig prüfen, wie stark ist der Tumor zurückgekehrt, wie ist der Allgemeinzustand des Patienten. Vor allen Dingen haben Nieren und Knochenmark die erste Therapie gut verkraftet. Wenn das alles passt, kann eine erneute Behandlung helfen, das Tumorwachstum wieder zu kontrollieren und Beschwerden zu lindern. Oft mit ähnlich guter Verträglichkeit wie bei der ersten Therapie. Das Entscheidende ist, die PRT ist kein einmaliges Angebot, sondern kann unter bestimmten Voraussetzungen auch langfristig Teil eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts sein. So können wir die Therapie flexibel an den Krankheitsverlauf anpassen, unsere Patientinnen und Patienten auch im Falle eines Rückfalls neue Perspektiven bieten.
PM: Übernehmen denn eigentlich die Krankenversicherungen die Behandlungskosten?
AH: Das ist eine wichtige Frage, denn natürlich spielt die Kostenübernahme bei jeder Therapie eine große Rolle. In unserem Fall ist es so, dass wir die PRRT als private Leistung anbieten. Das bedeutet, die Behandlung wird in einer privaten Einrichtung durchgeführt und nicht automatisch von allen gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Private Krankenversicherungen dagegen übernehmen die Kosten häufig, ganz oder teilweise, vor allem dann, wenn die medizinische Notwendigkeit klar ist. Das klären wir im Vorfeld ganz genau mit Ihnen und helfen auch bei der Kommunikation mit der Versicherung.
Für gesetzlich Versicherte besteht unter bestimmten Umständen die Möglichkeit über einen Kostenerstattungsantrag eine Übernahme zu beantragen. Das ist aber immer eine Einzelfallentscheidung, mit der die Krankenkasse prüft, ob die Behandlung medizinisch begründet und anderweitig nicht verfügbar ist. Am besten sprechen wir frühzeitig darüber, schauen wir gemeinsam, was möglich ist und wie der weitere Weg für Sie aussehen kann.
PM: Vielen Dank für die Informationen, Herr Professor Haug.